Begeistert sind sie ja immer alle, die Künstler, Musiker, angehenden Schriftsteller, reisende Rumhängende. Berlin sei ja überhaupt die tollste Stadt der Welt, erklären sie, die seit ein paar Tagen hier sind, meist auf englisch. Es erinnere sie an New York (kann ich nichts zu sagen, war ich noch nie), alles sei so herrlich shabby, und spätestens, wenn sie Bier holen gehen, sind sie nicht mehr zu bremsen ob des Lobes auf die Billigkeit der Stadt. Und wenn das Gespräch unweigerlich auf die Wohnungspreise kommt, dann packen all die Künstler und Musiker in Gedanken ihre Ateliers und Tonstudios zuhause in London, Seattle, Amsterdam, Paris, Madrid oder wo auch immer zusammen und planen ihren Umzug nach Berlin.
Ich wundere mich immer ein bisschen über diesen Enthusiasmus, der so vorhersagbar ist, aber natürlich verstehe ich sie, ich bin ja auch mal hergezogen, und ich erkläre Berlin voller Ignoranz und Arroganz zur schönsten Stadt der Welt. Ich mag die Freiheit, die Faulheit der Stadt, die verschiedenen Menschen, die sich hier aufhalten, und ich mag auch die Stadt selber, die an vielen Ecken plötzlich ganz anders ist, als man es erwartet hatte, wenn sich mitten in der recht ordentlich erscheinenden Straße plötzlich eine Brachfläche auftut, an der das „Zu Verkaufen“-Schild auch schon ein paar Jahre alt ist. Berlin ist nämlich vor allem deshalb so nett, weil die Stadt so pleite, weil der Wohnraum so zahlreich vorhanden ist. Hätte die Stadt mehr Geld, die Pläne zu Sanierung und Neubebauung diverser Orte wären schon längst verwirklicht, und dann wäre es ziemlich schnell vorbei mit der Gemütlichkeit, der metropolen Verschlafenheit und den billigen Mieten. Gentrifizierung, englisch und im Gespräch mit den Künstlern von außerhalb besser anzuwenden: Gentrification ist ohnehin schon überall zu spüren. Und gehört auch zu jeder Entwicklung einer Stadt dazu, und das ist auch nicht erst seit gestern so. Neukölln verändert sich gerade ein bisschen zum Beispiel, plötzlich gibt es Kneipen und Galerien, die ganz schön sind. Natürlich können sich jetzt (zugezogene) Überzeugungsneuköllner ein bisschen aufregen und die einladenden türkischen Neonlicht-Herrenvereine zurückwünschen und erzählen, wie toll es früher war, als noch niemand vor ihnen etc. So läuft das immer. Und nervt immer etwas.
Aber anders als die kleinen neuen Kneipen und Galerien in Neukölln machen andere „Gentrifizierer“ eher Angst. Nicht weit von mir wird an einer Straßenecke ein so genanntes
Car-Loft gebaut, das es seinen Bewohner ermöglichen wird, mit dem Auto im Aufzug auf die Etage vor die Wohnungstür zu fahren. An den anderen 3 Ecken der Straße befinden sich Eckkneipen, mit denen die zukünftigen Car-Loftbewohner wohl nicht viel anfangen können werden. Es wird spannend zu sehen, wer gewinnen wird, aber wenn die Car-Loft-Typen den Sieg davon tragen und Sushi-Bars an der Reichenberger aufmachen, dann wäre das eher traurig.
Anderes Beispiel sind die Musikmultis an der Spree, die sich genau in dem Moment dort angesiedelt haben, als der Kreuzberger Wrangelkiez offiziell kein Sanierungsgebiet mehr war und also die Mieten wieder steigen durften. Ich mag den Wrangelkiez, wie er heute ist, aber ich grusele mich manchmal bei dem Gedanken, wie es dort in wohl ein paar Jahren aussehen wird. Heute morgen habe ich in der
Zeitung gelesen, dass der Osthafen geschlossen wird und die Gebäude an Firmen verkauft werden sollen. Bei den Beschreibungen, was hier alles hin soll, wurde mir ganz anders. Das Projekt, einen Teil der Spree so zu säubern, dass man darin schwimmen kann, ist ja ganz lustig, aber das „exklusive Yachtclub-Flair“ und einen weiteren Ausbau der MTV-Präsenz finde ich eher ein bisschen abschreckend. Ja, ich weiß, diese Entwicklungen geschehen wohl zwangsläufig, und ja, ich bin vielleicht heillos romantisch und realitätsblind, wenn ich mir vorstelle, dass man auch ohne MTV Spaß an der Spree haben könnte, denn genau so funktioniert ja das Prinzip der Gentrifizierung. Aber ich bedauere ein wenig, dass der schöne Garten der alten Weberei, den ich gerade entdeckt habe, direkt neben jenem Areal liegt, das sich bald wie die Londoner Docklands fühlen wird und seine Fangarme nach den schönen, billigen, unbebauten Flächen in der Umgebung ausstrecken wird. Aber so läuft das. Ohne die zuziehenden Künstler, Musiker und Rumhänger, ohne uns, würde die Transformation der Stadt gar nicht funktionieren. Die Katze beißt sich in den Schwanz.
Wirklich beunruhigt war ich allerdings erst, als ich in besagtem Zeitungsartikel las, dass der Osthafen einige Gebäude nicht loswird, weil sie „verkehrsungünstig mitten auf einer geplanten Austobahntrasse, die vom Kreuz Neukölln bis zur Frankfurter Allee führen soll“ liegen. Lieber Yuppies als Autobahn? Klar, wer im Car-Loft wohnt, muss ja auch irgendwie dorthin kommen.
Zum Glück ist Berlin viel zu pleite und wird nicht übermorgen mit dem Bau der Autobahn beginnen. Und wer weiß, was in ein paar Jahren passiert sein wird. Das ist auch das Schöne an Berlin: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird, um eine eher lauwarme Metapher zu bemühen. Und so hoffe ich, dass man an der Spree in Zukunft höchstens Tretboot fahren können wird.