Von Güte, Freundlichkeit und Nachsicht an einem sonnigen Septembertag
Der heutige Tag war bisher ausgesprochen schön. Verwunderlicherweise.
Er begann mit dem Anfertigen von Passbildern für einen neuen Personalausweis. Normalerweise ein Garant für schlechte Laune, war diese Erledigung heute sehr nett. Ich bahnte mir meinen Weg durch die Herbstmode im ersten Stock eines großen Kaufhauses am Neuköllner Hermannplatz, fand in einer Ecke die Arbeitstätte eines Fotografen, eingezwängt zwischen Änderungsschneiderei, Einpackservice und Kaffeebar, nahm, weil eine andere Kundin vor mir dran war, auf einem blauen Sofa Platz, das mit weiteren blauen Sofas zu einer kommunikativen Sitzecke um einen niedrigen Glastisch gruppiert war, und hatte gerade genug Zeit, zwei ältere Damen zu belauschen, die sich, morgens um 10, eine kleine Kaffeepause vom anstrengenden Einkauf gönnten. Eigentlich trank nur die eine Kaffee, und zwar einen Cappuccino, dessen Milchschaum die andere mit „Na det is ja n Berg“ kommentierte. Die cappuccinotrinkende Dame rechtfertigte ihren Kaffeegenuss, „Kaffee, det is ja meine einzige Leidenschaft. Irgendwas muss man ja noch vom Leben haben.“ Die andere Dame sagte nichts und zog ihre bunte Strickjacke zurecht, so wie ältere, füllige Damen es zu tun pflegen.
Mehr war mir von dieser Unterhaltung nicht vergönnt zu hören, ich durfte Fotos machen gehen, und das Ergebnis, das mir die reizende Fotografin vorlegte, war durchaus zufriedenstellend.
Dann radelte ich zum Amt. Ich hatte angesichts der zu erwartenden langen Wartezeit ausreichend Lektüre mitgebracht, doch ich kam gar nicht zum Lesen. Kaum hatte ich mir einen grauen Hartschalenstuhl für die Zeit des Ausharrens ausgesucht und mich darauf niedergelassen, hatte die erstaunlich wenigen anderen Wartenden in dem durch Sonnenstrahlen zumindest ein bisschen freundlicher wirkenden Warteraum in Augenschein genommen, da wurde ich auch schon aufgerufen. Jedoch nicht ohne vorher eine aufgeräumte Frauenstimme aus einem der Amtszimmer rufen zu hören: „Herr ..., das hat alles geklappt!“, worauf ein junger Mann im Warteraum aufstand und laut: „Das ist ja toll, danke“ rief. Noch grübelnd, ob ich mich tatsächlich im Bürgeramt befand, betrat ich den mir zugewiesenen Raum. An Platz 4 traf ich auf einen freundlichen jungen Sachbearbeiter, dem Nachnamen nach mit Migrationshintergrund, was an sich gar nichts zur Sache tut, außer vor dem Hintergrund, dass das Rechtschreibprogramm hier auf meinem Computer das Wort Migrationshintergrund als fehlerhaft markiert. Egal. Weiter. Das Beantragen eines neuen Ausweises inklusive eines vorübergehenden, weil ich mal wieder nicht rechtzeitig aus dem Knick gekommen bin und immer alles plötzlich sofort brauche, gestaltete sich unkompliziert und freundlich. Untermalt wurde die Angelegenheit von dezenten Schlagerklängen aus dem Radio auf dem Aktenschrank am Fenster, das offensichtlich der Kollegin meines Sachbearbeiters gehörte. Sie war wohl auch für die Dekoration des Raumes zuständig gewesen. Sicher wollte sie den Raum nett und freundlich gestalten, um den Antragstellern ein Gefühl der Wärme und Heimeligkeit zu vermitteln, nicht immer haben die es ja leicht im Leben. Vielleicht wollte sie es aber auch ein wenig wie zuhause haben. Auf jeder freien Fläche standen neckische Tonfigürchen, die entfernt an Vorbilder aus dem Tierreich erinnern sollten, darunter ausgebreitet lagen Papierservietten mit gelben Sonnenblumen, und auch das Glas mit Kaffeeweißer auf einem Beistelltisch hatte eine farbenfrohe Papierunterlage erhalten.
Während ich ein wenig warten musste, bis der Drucker funktionierte, konnte ich verfolgen, wie jene stilsichere Amtsdame einen Herrn mit Wohngeldantrag dermaßen freundlich beriet, dass ich mich schon auf den Tag freute, an dem ich meinerseits Wohngeld beantragen würde.
Als ich wieder in den Sonnenschein hinaustrat, war ich ganz benommen. Ich betrachtete noch einmal das Dokument, das ich in der Hand hielt, als erwartete ich, dass sich der vorläufige Personalausweis mit obendrein ansehnlichem Foto, dessen Anfertigung mich seit dem Verlassen des Hauses alles inklusive knappe eineinhalb Stunden gekostet hatte, in Staub auflösen würde. Oder sich als gefälscht entpuppen würde. Er war echt.
(Dass mich dann später im Bus ein mitreisender Polizist ohne Grund freundlich anlächelte, verwunderte mich gar nicht mehr. Irgendwas stimmt heute nicht.)
Nachtrag: Es ist wirklich nicht zu fassen. Soeben hat dieFurie Dame im Prüfungsbüro am Telefon freundlich meine letzten Sorgen bezüglich der Abgabe meiner Arbeit aus dem Weg geräumt und mir "toi toi toi, viel Glück auf den letzten Metern" gewünscht.
Er begann mit dem Anfertigen von Passbildern für einen neuen Personalausweis. Normalerweise ein Garant für schlechte Laune, war diese Erledigung heute sehr nett. Ich bahnte mir meinen Weg durch die Herbstmode im ersten Stock eines großen Kaufhauses am Neuköllner Hermannplatz, fand in einer Ecke die Arbeitstätte eines Fotografen, eingezwängt zwischen Änderungsschneiderei, Einpackservice und Kaffeebar, nahm, weil eine andere Kundin vor mir dran war, auf einem blauen Sofa Platz, das mit weiteren blauen Sofas zu einer kommunikativen Sitzecke um einen niedrigen Glastisch gruppiert war, und hatte gerade genug Zeit, zwei ältere Damen zu belauschen, die sich, morgens um 10, eine kleine Kaffeepause vom anstrengenden Einkauf gönnten. Eigentlich trank nur die eine Kaffee, und zwar einen Cappuccino, dessen Milchschaum die andere mit „Na det is ja n Berg“ kommentierte. Die cappuccinotrinkende Dame rechtfertigte ihren Kaffeegenuss, „Kaffee, det is ja meine einzige Leidenschaft. Irgendwas muss man ja noch vom Leben haben.“ Die andere Dame sagte nichts und zog ihre bunte Strickjacke zurecht, so wie ältere, füllige Damen es zu tun pflegen.
Mehr war mir von dieser Unterhaltung nicht vergönnt zu hören, ich durfte Fotos machen gehen, und das Ergebnis, das mir die reizende Fotografin vorlegte, war durchaus zufriedenstellend.
Dann radelte ich zum Amt. Ich hatte angesichts der zu erwartenden langen Wartezeit ausreichend Lektüre mitgebracht, doch ich kam gar nicht zum Lesen. Kaum hatte ich mir einen grauen Hartschalenstuhl für die Zeit des Ausharrens ausgesucht und mich darauf niedergelassen, hatte die erstaunlich wenigen anderen Wartenden in dem durch Sonnenstrahlen zumindest ein bisschen freundlicher wirkenden Warteraum in Augenschein genommen, da wurde ich auch schon aufgerufen. Jedoch nicht ohne vorher eine aufgeräumte Frauenstimme aus einem der Amtszimmer rufen zu hören: „Herr ..., das hat alles geklappt!“, worauf ein junger Mann im Warteraum aufstand und laut: „Das ist ja toll, danke“ rief. Noch grübelnd, ob ich mich tatsächlich im Bürgeramt befand, betrat ich den mir zugewiesenen Raum. An Platz 4 traf ich auf einen freundlichen jungen Sachbearbeiter, dem Nachnamen nach mit Migrationshintergrund, was an sich gar nichts zur Sache tut, außer vor dem Hintergrund, dass das Rechtschreibprogramm hier auf meinem Computer das Wort Migrationshintergrund als fehlerhaft markiert. Egal. Weiter. Das Beantragen eines neuen Ausweises inklusive eines vorübergehenden, weil ich mal wieder nicht rechtzeitig aus dem Knick gekommen bin und immer alles plötzlich sofort brauche, gestaltete sich unkompliziert und freundlich. Untermalt wurde die Angelegenheit von dezenten Schlagerklängen aus dem Radio auf dem Aktenschrank am Fenster, das offensichtlich der Kollegin meines Sachbearbeiters gehörte. Sie war wohl auch für die Dekoration des Raumes zuständig gewesen. Sicher wollte sie den Raum nett und freundlich gestalten, um den Antragstellern ein Gefühl der Wärme und Heimeligkeit zu vermitteln, nicht immer haben die es ja leicht im Leben. Vielleicht wollte sie es aber auch ein wenig wie zuhause haben. Auf jeder freien Fläche standen neckische Tonfigürchen, die entfernt an Vorbilder aus dem Tierreich erinnern sollten, darunter ausgebreitet lagen Papierservietten mit gelben Sonnenblumen, und auch das Glas mit Kaffeeweißer auf einem Beistelltisch hatte eine farbenfrohe Papierunterlage erhalten.
Während ich ein wenig warten musste, bis der Drucker funktionierte, konnte ich verfolgen, wie jene stilsichere Amtsdame einen Herrn mit Wohngeldantrag dermaßen freundlich beriet, dass ich mich schon auf den Tag freute, an dem ich meinerseits Wohngeld beantragen würde.
Als ich wieder in den Sonnenschein hinaustrat, war ich ganz benommen. Ich betrachtete noch einmal das Dokument, das ich in der Hand hielt, als erwartete ich, dass sich der vorläufige Personalausweis mit obendrein ansehnlichem Foto, dessen Anfertigung mich seit dem Verlassen des Hauses alles inklusive knappe eineinhalb Stunden gekostet hatte, in Staub auflösen würde. Oder sich als gefälscht entpuppen würde. Er war echt.
(Dass mich dann später im Bus ein mitreisender Polizist ohne Grund freundlich anlächelte, verwunderte mich gar nicht mehr. Irgendwas stimmt heute nicht.)
Nachtrag: Es ist wirklich nicht zu fassen. Soeben hat die
Mlle Händel - 11. Sep, 14:17